CETA - ein weiterer Meilenstein für die SPD auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit?

CETA - ein weiterer Meilenstein für die SPD auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit?

01. September 2016

Noch ein Versuch, die Tragweite von CETA deutlich zu machen - auch besonders für Sozialdemokraten.

CETA soll angeblich nur zum Wohl von "uns" allen gemacht werden. Warum verstehen die Menschen das nicht? Sind die Befürworter nicht in der Lage, die Menschen von den Vorteilen zu überzeugen?

Nein, die Leute lassen sich nicht mehr suggerieren, dass "wir" nur die Weltstandards setzen können, wenn "wir" CETA oder TTIP schnell abschließen und dass diese Standards dann zum Wohl von uns allen führen würden. Wer ist gemeint mit "wir", wenn kaum einer von "uns" bei den Verhandlungen mit entscheiden konnte und inzwischen die große Mehrheit CETA und TTIP zu Recht ablehnt, weil wir offenbar diese Weltstandards und den Teilabbau unserer demokratischen Grundordnung nicht wollen?

Die Unternehmen können bereits jetzt auf gegebene Rechtssicherheit in den EU-Staaten, Kanada und den USA vertrauen. Über die ordentlichen Gerichte werden Streitigkeiten nach den demokratisch zustande gekommenen Gesetzen rechtsstaatlich geregelt. Der Gerichtsweg steht offen. Seit vielen Jahren steigern wir unsere Exporte ohne CETA und TTIP. Wir sind ohne diese Abkommen seit Jahrzehnten an der Weltspitze beim Export und beim Exportüberschuss. Wir überschreiten - zum Ärger und Nachteil unserer europäischen Freunde - die Exportüberschussgrenzen, die wir einzuhalten, zugesagt haben. So gesehen brauchen wir CETA und TTIP nicht. Sie sind für den Einigungsprozess Europas sogar hinderlich.

Wer braucht dann CETA und TTIP?

Durch CETA bekämen Unternehmen unter dem Deckmantel "freier" Handel freien Zugriff auf die öffentlichen Kassen, die der Steuerzahler füllt, wenn die Manager die wirtschaftliche Situation falsch eingeschätzt und falsche unternehmerische Entscheidungen getroffen haben. Solche Fehleinschätzungen des Managements wegen sich ändernder Rahmenbedingungen sind selbstverständlich ohne staatliche Absicherung hinzunehmen. Es ist nichts weiter als das gewöhnliche Unternehmerrisiko. Die Vollkaskomentalität von Unternehmen, die umfangreichen staatlichen Investitionsschutz trotz gegebener Rechtssicherheit für die viel gerühmte und beschworene unternehmerische Freiheit fordert, irritiert eklatant.

Dieses Vollkaskodenken entspringt dem Zwang zur Gewinnmaximierung. Es unterbleiben dadurch nicht nur dringend notwendige Investitionen in Zukunftstechnologien, wie das Beispiel der deutschen Automobilindustrie jammervoll zeigt. So wird auch Missmanagement übertüncht und letztendlich sogar erzeugt, weil der Steuerzahler ja für Fehler aufkommt. "Nieten in Nadelstreifen" glänzen so als vermeintliche große Konzernlenker und befördern sich zu Deutschlands "Elite" mit unglaublichen Vergütungsforderungen. Mit Blendwerk und Hochglanzeitelkeit aufgemotzte Fassaden sollen den Blick verstellen auf teilweise unhaltbare Zustände dahinter bei der Produktherstellung. Das ist grotesk. Ich verzichte darauf, Beispiele zu nennen, um genannte Unternehmen nicht gegenüber ungenannten zu diskriminieren, weil gar nicht alle bekannt sind und aufgezählt werden können.

Hinzu kommt, dass die einzig verbliebene "Supermacht" seit vielen Jahren große Probleme mit ihrer Handelsbilanz erkennen lässt. Die FED lässt eigentlich nur noch die Notenpresse laufen. Ohne die Bereitschaft von Staaten, wie z. B. China, aus währungs-, export- und machtpolitischem Eigeninteresse US-Anleihen weiter zu kaufen, sähe jeder das riesige Krisenszenario unverhüllt, das so noch etwas verdeckt wird. Es ist den Menschen nicht weiter zumutbar, auf diese Weise den Appetit der USA und der Wirtschaftseliten zu finanzieren. Überhaupt müssen die laufenden Notenpressen der Zentralbanken wieder auf das wirtschaftlich verträgliche Maß gebremst werden.

Unser großes Problem wird jedoch die vermeintliche Stärke von CETA. CETA soll zu mehr (quantitativem) Wachstum durch vermehrte Exporte führen. Anstatt, dass wir uns im eigenen und europäischen Interesse mehr um die Binnennachfrage kümmern, nimmt unsere volkswirtschaftlich bedenkliche Abhängigkeit vom Export zu. Am Beispiel der NAFTA sehen wir, dass solche Abkommen zu großem Lohn- und Gehaltsdruck besonders in den mittleren und unteren Vergütungsbereichen und zu Arbeitsplatzverlagerungen größten Ausmaßes führen. Dadurch konterkarieren wir alle unsere Bemühungen, die Arbeits- und Einkommenssituation in diesen Bereichen zu verbessern. Wir zerstören gleich wieder das zaghaft aufkeimende Vertrauen der Menschen in unsere neue Politik nach der Agenda 2010 und setzen erneut unsere Glaubwürdigkeit aufs Spiel. Dieses Mal ist sie dann wohl für lange Zeit weg.

Hinzu kommt, dass durch das angestrebte Wachstum ohne gleichzeitige weitergehende staatliche Regulierungen - die in CETA und TTIP unzureichend sind -, große Umweltbelastungen zu befürchten sind, die uns und nach uns kommende Generationen schwer belasten werden.

Und dann werden gerade wir Sozialdemokraten durch CETA noch ein Problem bekommen:

CETA schränkt die Befugnisse von Regierungen und Parlamenten in der Weise ein, dass politisch notwendige Entscheidungen zu Regressforderungen der Unternehmen führen können - nicht nur für tatsächlich entgangenen, sondern sogar für rein rechnerisch denkbaren entgangenen Gewinn. Die ordentlichen Gerichte sollen durch einen (wem verantwortlichem?) Handelsgerichtshof ersetzt werden. Und wenn die Menschen genug von dieser neuen Bereicherungsmaschine für Reiche haben, ist unklar, wie sie aus CETA wieder herauskommen und zu welchen Kosten. Das verletzt unsere gesamte demokratische Ordnung. Sollen wir für immer in CETA gefangen bleiben, frei zum "gemolken werden"? Damit würde die SPD, die 1933 mutig die Demokratie vor den Nationalsozialisten verteidigt hat, demokratische Rechte ohne Not Unternehmensinteressen opfern. Da würden sich viele unserer Genossinnen und Genossen wohl für diese SPD fremdschämen.

So werden wir lange keine Bundestagswahl mehr gewinnen. Europa wird unsolidarischer werden, bis hin zur Handlungsunfähigkeit - ein Spielball für andere.

In dieser Form löst CETA nicht unsere Probleme, sondern verstärkt sie, besonders für die SPD. Welche Werte nach meiner Meinung nicht verhandelbar sein dürfen, findest Du in der solidaren Marktwirtschaft unter Punkt 2.2.9 Freihandelsabkommen im Anhang.

Nach meiner - sicherlich subjektiven - Bewertung, ist CETA besser als bestehende Handelsabkommen, von einem Musterabkommen für die Zukunft aber weit entfernt. Lösungen für Umwelt-, Herstellungs- und Vergütungsproblematiken - um nur Beispiele zu nennen - werden nicht einmal angedacht. Was haben dagegen ein paar Euro Kosteneinsparungen bzw. Gewinnsteigerungen einzelner Unternehmen für ein Gewicht? Meine Meinung: Zu wenig! Diese Problemlösungen müssen wir als SPD aber in jedem künftigen Handelsabkommen anpacken.

Deshalb müssen CETA und TTIP neu verhandelt werden. Notwendige Änderungen über den "Parlamentsweg" zu machen ist kaum praktikabel. Die Verhandlungspartner sitzen nicht mit am Tisch. Sie würden jedes Mal in eine Entwederoder-Situation gezwungen, sozusagen vor vollendete Tatsachen gestellt, die sie nur noch abnicken können. Das sind dann keine partnerschaftlichen Verhandlungen auf Augenhöhe. Die neue Regierung Kanadas kann nach meiner Überzeugung für einen Neustart der Verhandlungen gewonnen werden .

Unser Kurswechsel bezüglich CETA ist dann glaubwürdig, wenn klar wird, dass wir die berechtigten Sorgen der vielen Menschen ernst nehmen. Wir dürfen künftig nicht mehr nur gewinn- und kostenorientiert, also eindimensional wirtschaften, sondern müssen gleichzeitig Nachhaltigkeit und das Wohl der heute lebenden Menschen und künftiger Generationen einbeziehen. Das bedeutet, dass wir in unser Wahlkampfprogramm den Einstieg in die Solidare Markwirtschaft aufnehmen müssen.

Wir können es besser, noch haben wir die Zeit, dies zu zeigen.

Solidare Marktwirtschaft - erste Schritte zu ihrer Einführung (PDF, 101 kB)

Leonhard Heberlein ist Studiendirektor im Ruhestand, Diplom-Handelslehrer und hat Betriebswirtschaft, Volkswirtschaft, Wirtschaftspädagogik, Öffentliches und Privates Recht, Statistik, Finanzmathematik, Psychologie und Wirtschaftsgeschichte studiert,
Jetzt studiert er evangelische Theologie, Philosphie und Judaistik. Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Sie muss nicht zwangsläufig die Meinung des Forums Demokratische Linke 21 e.V. oder die Meinung anderer Autoren dieser Seiten wiedergeben.

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