Forum DL21 - ANALYSE DER BUNDESTAGSWAHL 2017

Forum DL21 - ANALYSE DER BUNDESTAGSWAHL 2017

02. Oktober 2017

Am 29.und 30. September 2017 fand in Berlin eine Tagung der DL21 statt, bei der das Ergebnis der Bundestagswahl analysiert und bewertet wurde. Dabei wirkten Medien- und Politikwissenschaftler/innen ebenso mit wie Ralf Stegner als stellvertretender Parteivorsitzender und Anne Helm (Die Linke) und Lisa Paus (Bündnis 90/ Die Grünen). Für die DL21 in Bayern haben Rita Hagl-Kehl und Jonas Lanig an dieser Tagung teilgenommen. Hier die wichtigsten Ergebnisse in der Zusammenschau:

1. Die Sozialdemokratischen Parteien in Europa befinden sich in einer existenziellen Krise

Der Absturz der SPD bei den Bundestagswahlen ist kein Einzelfall. Auch in anderen europäischen Ländern befinden sich die sozialdemokratischen Parteien in einer existenziellen Krise, müssen sie befürchten, eines Tages ganz von der politischen Landkarte zu verschwinden. Das zeigen die folgenden Ergebnisse:

Land....................Jahr.....Wahl........................Stimmenant. Sozialdem.

Griechenland....2015....Parlamentswahl.......................6,28 %

Österreich..........2016....Präsidentschaftswahl.............11,28 %

Niederlande......2017....Parlamentswahl..........................5,7 %

Frankreich..........2017....Parlamentswahl...........................7,44 %

Völlig aus dem Rahmen fällt demgegenüber das Ergebnis der britischen Unterhauswahlen 2017. Hier war die Labour Party erstmals unter dem Parteilinken Jeremy Corbyn angetreten. Sie konnte ihren Stimmenanteil um 9,5% steigern und kam auf 40,0 %.

Wie ernst die Lage in anderen Ländern ist, zeigt die Entwicklung der „Partij van de Arbeid“ in den Niederlanden. Hier gibt es starke Tendenzen, sich ganz aufzulösen und der Grünen Partei anzuschließen - um sich hier als Arbeitskreis für soziale Fragen neu zu konstituieren.

2. Die SPD ist bei der Bundestagswahl gescheitert, weil sie von der politischen Konkurrenz kaum noch zu unterscheiden war.

Für den Wähler macht eine Stimmabgabe für die SPD nur dann Sinn, wenn diese als Alternative zu den Unionsparteien wahrgenommen wird. Eine solche Zuspitzung war aber weder während der Amtszeit der Großen Koalition noch in der Zeit des Wahlkampfs sichtbar.

So ist nicht nur dem Politikwissenschaftler Thorsten Faas aufgefallen: Bei 70% der 38 Fragen aus dem Wahl-O-Mat kamen von der CDU und der SPD identische Antworten. Nur bei Grünen und Linken bzw. SPD und Grünen war die Übereinstimmung noch größer.

Ein ähnliches Ergebnis zeigt sich beim Umgang der SPD mit der Forderung nach sozialer Gerechtigkeit. Hier hat sich die SPD im Wahlkampf die christdemokratische Position zu eigen gemacht, wonach es dabei vor allem um Chancengerechtigkeit geht. So hat Martin Schulz die Bildungspolitik in den Vordergrund seiner Kampagne gestellt – verbunden mit der Forderung, Einzelnen den sozialen Aufstieg zu ermöglichen. Politisches Ziel der SPD sollte es aber nicht sein, die soziale Mobilität Einzelner zu fördern – sondern die Schere zwischen Arm und Reich insgesamt zu schließen.

Im Mittelpunkt der sozialdemokratischen Kampagne hätte also die Verteilungsgerechtigkeit stehen müssen, wie sie zum Beispiel in steuerpolitischen Maßnahmen zum Tragen kommt. Dabei ist die Forderung nach mehr Verteilungsgerechtigkeit in Deutschland ausgesprochen populär. So unterstützen 67% der Deutschen die Forderung: Der Staat sollte Maßnahmen ergreifen, um Unterschiede in den Einkommensniveaus zu reduzieren. Auf dieser Akzeptanz des sozialdemokratischen Modells eines modernen Wohlfahrtsstaats hätte man aufbauen müssen.

In einem Papier, das zum Ende des Treffens verabschiedet wurde, wird deshalb auch ein Erneuerungsprozess von unten gefordert, „der eine klare Abkehr von der Agendapolitik beinhaltet und sozialdemokratischen Inhalte definiert, die sich am Ziel der Verteilungsgerechtigkeit orientieren und in sich konsistent sind.“ Resolution Forum-DL21

3. Der Erfolg der AfD ist Ausdruck einer tiefgreifenden Krise der repräsentativen Demokratie

Die AfD ist eine populistische Partei. Damit steht sie nicht nur rechtpopulistischen Parteien wie dem Front National oder der FPÖ nahe. Sie folgt in ihrer Argumentation auch politischen Kräften, die eher dem linken Spektrum zuzurechnen sind – wie Podemos oder der Fünf-Sterne-Bewegung. Die durchgehende Erzählung dieser populistischen Bewegungen in Europa zielt darauf ab, dass es in allen Ländern zu einer nachhaltigen Entfremdung zwischen den Bürgern und der politischen Elite gekommen ist. Wie die Parteigänger anderer populistischer Formationen haben auch die Wähler der AfD den Eindruck, die Politik höre ihnen nicht mehr zu, nehme ihre Bedürfnisse nicht mehr ernst und habe sie deshalb schon längst abgehängt.

Die Strategie der AfD zielt darauf ab, einen unauflösbaren Zusammenhang zwischen zwei Erzählungen herzustellen: der vom betrogenen Volk und der von einer geplanten „Umvolkung“ durch den Zuzug von Ausländern. Weil beide Erzählungen ursprünglich nichts miteinander zu tun haben, müssen sie auch in der argumentativen Auseinandersetzung getrennt behandelt werden. So muss das weit verbreitete Gefühl, die politisch Verantwortlichen hätten keinen Draht mehr zu den Bürgern, durchaus ernst genommen werden. Schließlich zeigt sich hierin eine tiefgreifende Krise der repräsentativen Demokratie – die mehr ist als eine Erfindung der AfD.

Die SPD hat deshalb konstruktive Antworten zu entwickeln, wie sich diese Krise beheben lässt: Durch zusätzliche Elemente direkter Demokratie, durch ein Zurückdrängen des Lobbyismus, durch neue Formen der Bürgerbeteiligung, durch die konsequentere Demokratisierung von Unternehmen und Schulen und durch eine Öffnung der Parteiarbeit für Sympathisanten und für Vertreter der Zivilgesellschaft. „Mehr Demokratie wagen!“ muss wieder zu einem Markenkern sozialdemokratischer Politik werden.

4. Wichtigste Voraussetzung einer Neuaufstellung der SPD ist eine Stärkung der innerparteilichen Demokratie.

In der abschließenden Erklärung wird klar gestellt: „Es darf keine Erneuerung geben, die nicht gemeinsam mit der Parteibasis entwickelt und vereinbart wurde.“ Genau das ist aber ist in den ersten Tagen nach der Wahl bereits geschehen: Es waren einsame Entscheidungen oder Absprachen im kleinen Kreis, die Grundlage erster personeller Veränderungen waren. Das darf sich so nicht wiederholen.

Gleichzeitig müssen die Parteitage der SPD der internen Diskussion mehr Raum geben, muss aber auch der Umgang mit Anträgen in Zukunft anders gehandhabt werden. Auch die geplanten Regionalkonferenzen dürfen nicht zu einem ritualisierten Schaulaufen von Spitzenfunktionären und Mandatsträgern werden, sondern müssen vor allem die Parteibasis zu Wort kommen lassen. Schließlich wurde gefordert, den Antragsschluss für den Bundesparteitag zu verschieben, damit sich die Untergliederungen mit ihren Überlegungen zur Neuaufstellung der Partei noch einbringen können.

Völlig unbestritten unter den Teilnehmern war, dass der Gang der SPD in die Opposition irreversibel ist. Auch bei einem Scheitern der Verhandlungen über eine schwarz-gelb-grüne Koalition muss es bei dem einmal gefassten Beschluss bleiben.

Die Diskussion im Kreis der DL21 hat gezeigt, dass die Bundestagswahl regional zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen geführt hat. So werden wir in Bayern zu diskutieren haben, warum hier die AfD ihr bestes Ergebnis im Westen erzielen konnte und wie dazu der Versuch der CSU beigetragen hat, die AfD mit aggressiven Sprüchen, schrillen Vorschlägen und vermeintlichen Tabubrüchen rechts zu überholen.

Jonas Lanig

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