Der Unterricht an einer Nürnberger Berufsschule beginnt so wie immer: Die Schüler trudeln allmählich ein, sie haben sich einiges zu erzählen und sie warten auf den Beginn des Unterrichts. Da wollen Polizisten den Schüler Asef N. aus der Schule abholen und ihn einer Abschiebung zuführen - wie es später im schönsten Beamtendeutsch heißen wird.
Dass die Mitschüler nicht untätig bleiben wollen, wenn einer von ihnen abgeholt und in das von Anschlägen gezeichnete Kabul verbracht werden soll - das versteht sich irgendwie von selbst. Die Polizisten aber scheinen darauf vorbereitet zu sein, eine solche Solidarisierung der Schüler mit dem jungen Flüchtling mit allen Mitteln zu unterbinden. Noch ehe die jungen Leute recht verstanden haben, gehen Schlagstöcke auf sie nieder, werden sie mit einem Pfefferspray außer Gefecht gesetzt, kommen Polizeihunde zum Einsatz.
Die spektakulären Szenen vor der Beruflichen Schule 11 offenbaren die ganze Schizophrenie der Bayerischen Flüchtlingspolitik: Einerseits engagiert sich Bayern beispielhaft für die Integration junger Geflüchteter. Das belegen die vielen Berufsintegrationsklassen, die man nicht zuletzt in Nürnberg eingerichtet hat.
Andererseits praktiziert man im Freistaat eine rigide Abschiebepolitik, die auch vor jungen Leuten nicht Halt macht. So ist die bundesweit vereinbarte 3+2-Regelung in Bayern faktisch außer Kraft gesetzt. Auch die Bilder eines eskalierenden Konflikts zwischen Ordnungskräften und Berufsschülern waren vom Bayerischen Innenminister durchaus so gewollt: Damit will man beweisen, dass die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber in keinem Bundesland so brutal und so herzlos durchgezogen wird wie in Bayern.
Mit dieser kalkulierten Herzlosigkeit will man vor allem denen imponieren, die von der CSU zur rechtspopulistischen AfD gewechselt sind und die man jetzt gerne zurückholen möchte. Die AfD sitzt in Bayern zwar nicht in der Regierung. Sie ist auch nicht im Bayerischen Landtag vertreten. Aber ihre Forderung nach einem besonders aggressiven Umgang mit den Geflüchteten wird bereits jetzt bedient.
Das Vorgehen der Polizei an einer Nürnberger Berufsschule mag den Wünschen und Phantasien der Rechtspopulisten entgegen kommen - es beschädigt das Vertrauen junger Menschen in unseren Rechtsstaat und enttäuscht ihre Erwartungen an eine humane und zivile Demokratie. Nicht zuletzt sollen die Bilder vom Polizeieinsatz an einer Nürnberger Berufsschule den Blick einseitig auf Fragen der inneren Sicherheit richten – und damit von dem gerade in Bayern überfälligen Gerechtigkeitsdiskurs ablenken.
Ziel dieser Bilder ist es, aus reinem Machtkalkül die Bevölkerung zu spalten und mit Gewalt von dem Thema Gerechtigkeit abzulenken. Die CSU verspricht sich mehr Stimmen, wenn über Innere Sicherheit debattiert wird. Verletzungen von Polizisten und Demonstranten werden dabei genauso zynisch in Kauf genommen wie eine Radikalisierung von Islamisten. Es scheint, die CSU wünscht sich weitere islamistische Attentäter. um vermeintlich beim Wähler punkten zu können.
Vielleicht wurden gerade in der Berufsschule in Sozialkunde die Grundrechte nach Grundgesetz behandelt. "Die Würde des Menschen (also auch eines Afghanen) ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Aufgabe aller staatlichen Gewalt." Da wäre es gut gewesen, der bayerische Innenminister, der Abschiebungsbehörden-Beamte und der Polizeichef hätten zugehört. Offenbar haben sie den Artikel 1 Grundgesetz vergessen. Aber vielleicht stellt die Staatsanwalt fest, dass diese Verantwortlichen gegen das (Grund-)gesetz verstoßen haben, weil sie die Menschenwürde weder geschützt noch geachtet haben, und nimmt Ermittlungen gegen diese Verantwortlichen auf.
SZ-Kommentar: Wer aus dem Klassenzimmer abschiebt, hat jedes Gefühl für Menschlichkeit verloren