Aus inhaltlichen und aus grundsätzlichen Erwägungen, und weil es Alternativen zur GroKo gibt, lehnt unser Mitglied, Prof. Dr. Henning Höppe, eine erneute große Koalition ab. Hier Auszüge aus seiner Analyse, die insgesamt heruntergeladen werden kann.
I. Inhaltliche Gründe
① Migrations- und Flüchtlingspolitik
• Die GroKo schafft den Rechtsanspruch auf Familiennachzug für subsidiär Schutzbedürftige ab, den die SPD selbst erst 2015 durchgesetzt hat und krönt den Kompromiss mit einer Obergrenze von 1000 Gnadenakten plus einer Handvoll Härtefälle. Hinzu kommt noch eine zweite Obergrenze für Flüchtlinge, die aber nicht so heißen darf – ”Kontingent“.
② Arbeit
• Verträge mit sachgrundloser Befristung werden lediglich eingeschränkt.Die GroKo versündigt sich einmal mehr an denen, die aufgrund sachgrundloser Befristungen permanenter Existenzangst ausgesetzt sind. Ferner fehlt jeder Ansatz zu überfälligen Verbesserungen beim Mindestlohn.
③ Gesundheit
• Die GroKo hält an der Zwei-Klassen-Medizin fest. Der versprochene Abbau dieses unsolidarischen und ungerechten Systems bleibt aus.
④ Altenpflege
• Die GroKo schafft nicht mal eine halbe Stelle pro Pflegeeinrichtung und finanziert das aus Beiträgen zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung – darüber hinaus gehende Ankündigungen sind nicht verhandelt und somit ungedeckte Schecks auf die Zukunft!
⑤ Rente
• Die GroKo verspricht einer kleinen Gruppe eine Grundrente sowie ein Rentenniveau, das gerade mal 0,6% über dem aktuellen Plan liegt – und ab 2026 geht es steil abwärts.
⑥ Die Politik einer Regierung unter SPD-Beteiligung muss sich immer daran messen lassen, ob sie die Ungleichheit verringert – das ist angesichts dieser Koalitionsvereinbarung kaum zu erwarten. Die vereinbarten Kompromisse tragen den Keim der Enttäuschung bei GenossInnen und WählerInnen in sich. Ein weiterer Absturz nach dieser dritten GroKo wird die SPD in den Abgrund reißen. Die gesamte Koalitionsvereinbarung verheddert sich in kleinen Kompromissen und atmet die Mutlosigkeit zum Anpacken großer Fragen – ein großer Wurf fehlt.
II. Grundsätzliche Argumente
Ich war und bin gegen eine GroKo. Entschieden – aufgrund grundsätzlicher Erwägungen, aber auch inhaltlich überzeugt mich die Koalitionsvereinbarung nicht.
① Analyse:
• Demokratie lebt vom Wechsel, die beiden üblicherweise KanzlerIn stellenden Parteien sollten daher nur im größten Notfall (Staatsnotstand) koalieren – sonst bleibt die Opposition ein Torso, der eben nicht jederzeit die Regierung ablösen kann, und damit schwach.
• Große Koalitionen braucht man vorübergehend zur Umsetzung großer Projekte – solches ist in der Koalitionsvereinbarung von 2018 kein Thema, weder eine grundlegende Steuerreform, Rentenreform oder Gesundheitsreform.
• 1966, 2005 und 2013 wurden GroKos gebildet, alle drei führten zur Stärkung der politischen Ränder – zum Schaden der Demokratie. 1969 NPD und APO samt Unruhen, 2005 Linkspartei, 2017 AfD gestärkt.
• 2009 und 2017 führten die GroKos zu erheblichen Verlusten der SPD sowie der Volksparteien insgesamt – zum Schaden der Demokratie. Die deutsche Demokratie braucht eine starke SPD, keinen Steigbügelhalter für die CDU!
• Das Wahlergebnis ist eindeutig: die Wählerinnen und Wähler wollen keine Große Koalition mehr und insbesondere die SPD nicht mehr in der Regierung. Eine Koalition wäre die Missachtung des Wahlergebnisses.
• Die ohnehin nur schwach wahrgenommenen Unterschiede zwischen Union und SPD wurden unter Merkel weiter verwaschen – zum Schaden der SPD.
② Eine dritte Große Koalition in so kurzer Zeit wäre daher demokratiegefährdend – ein Land wie Deutschland braucht eine funktionierende Opposition und eine starke linke Volkspartei... In Österreich haben es echte Rechtsradikale in die Regierung geschafft – nach lähmenden Jahren der unendlichen GroKo.
③ Rechtsradikale werden erstmals seit der Weimarer Republik Oppositionsführer
• Wer mag sich einen Rassisten und Volksverhetzer wie Gauland als Oppositionsführer vorstellen? Manche meinen, das sei kein Problem – ich sage aber: das wäre ein fatales Signal für die Demokratie in Deutschland.
④ Die Union ist ein unzuverlässiger Koalitionspartner
• Kann und soll man mit einer Partei koalieren, die die eigene mit Worten wie Zwergenaufstand angreift und bestehende Vereinbarungen nicht umsetzt (Rückkehrrecht in Vollzeit)?
• Mit einer Partei, die die AfD als strategische Option sieht, kann man nicht ernsthaft koalieren wollen.
• Ebenso wenig kann man mit einer Partei koalieren, die gerade mit der Glyphosat-Abstimmung einen von langer Hand geplanten Koalitionsbruch begangen hat.
III. Alternativen zur Großen Koalition
① Minderheitsregierung bzw. Regierung mit wechselnden Mehrheiten
• Der Parteivorstand verkündet vollmundig und mit Angstargumenten spielend, die ¨ einzige Alternative wären Neuwahlen. Das ist falsch! Als Alternative bietet sich eine – sogar von Angela Merkel selbst am 11.02.2018 in der Sendung Berlin Direkt ins Gespräch gebrachte – Minderheitsregierung an – so schnell wird der Bundestag nicht aufgelöst. Die SPD-Fraktion stellt eine/n Kanzlerkandidatin/en auf, die Union wird dann evtl. auch jemanden aufstellen. Schlussendlich reicht gem. GG Artikel 63 Abs. 4 die relative Mehrheit – es wird auf jeden Fall ein Kanzler oder eine Kanzlerin gewählt werden! Es ist unseriös, dieses Szenario nicht einmal diskutieren zu wollen.
• Eine solche Minderheitsregierung muss keineswegs zu instabilen Verhältnissen fuhren – insbesondere bei den meisten außenpolitischen Themen gibt es breite Mehrheiten. Ferner ist damit zu rechnen, dass sich Duldungsvereinbarungen für gewisse Themenfelder ergeben werden und dort stabile Mehrheiten garantieren.
• Die SPD wird dabei nicht zur Abnickerin eines Unionsprogramms, sondern kann eigene Projekte profilierter einbringen und ggf. durchsetzen – es gibt eine Mehrheit jenseits von Union und AfD.
• Dies führt zur Schärfung des Profils aller im Bundestag vertretenen Fraktionen, die sich aktiv inhaltlich einbringen. Die Parteien werden für die Wählerinnen und Wähler wieder unterscheidbarer, die Diskussionskultur wird gefördert. Profil ist zudem etwas, das Merkel scheut (siehe oben).
• In NRW hat die Minderheitsregierung unter Hannelore Kraft sehr gut funktioniert, einige Abgeordnete schwärmen noch heute davon. Und sie ist keineswegs gescheitert, sondern wurde vorzeitig beendet, weil der Zeitpunkt für Neuwahlen geschickt erschien.
• Die Union wird sich übrigens hüten, eine rechte Mehrheit aus Union, FDP und AfD wirksam werden zu lassen. Die CSU sieht die AfD als Bedrohung, als echten Feind bei der LTW im Herbst, die CDU weiß, dass sie dann viele andere Projekte – z. B. Fortschritte bei der EU- und Bildungspolitik – vergessen kann. Sie braucht dafür Mehrheiten mit SPD bzw. Grünen. Nein, die Union wird keine Zusammenarbeit mit der AfD anstreben. Das Gegenteil zu behaupten ist Traumtänzerei.
• Die aktuell sehr gute gesamtwirtschaftliche Lage erlaubt Experimente: Lasst uns doch mal was Neues wagen, lasst uns mehr Demokratie wagen!
② Neuwahlen
• Selbst wenn es zu Neuwahlen käme, träte die SPD mit einem echt sozialdemokratischen Programm an, die Karten wurden neu gemischt. Niemand kann voraussehen, wie die Wahlen ausgehen würden.
• Eines ist jedoch sicher, genau diese tollen Kompromisse in der Koalitionsvereinbarung werden uns nach einer weiteren Großen Koalition einen weiteren dramatischen Aderlass bescheren – wir sind auf dem Weg zum Projekt 15 − x % . Niemand soll behaupten können, er sei nicht gewarnt worden – Mahner gab es übrigens auch schon 2013.
IV. Glaubwürdigkeit
• Der Parteivorstand hat zweimal einstimmig eine Große Koalition ausgeschlossen.
• Viele Politiker aus der Parteispitze haben eine GroKo ausgeschlossen. Natascha Kohnen: ”Wir sagen klipp und klar ’Nein‘ zu einer Großen Koalition – ohne jegliches Hintertürchen“ (fast wortgleich haben sich auch andere geäußert).
• All diese Positionen wurden geräumt und nach dem Motto was kümmert mich mein Geschwätz von gestern in ihr Gegenteil gedreht. Das ist allenfalls eine atmende Glaubwürdigkeit.
• Die SPD wurde gewählt, um den Kanzler zu stellen und sozialdemokratische Politik zu machen, nicht um Steigbügelhalter von Merkels vierter Kanzlerschaft und weiteren vier Jahren neoliberaler Politik zu werden.
Prof. Höppe, Meine Positionen zu den Koalitionsvereinbarungen (PDF, 260 kB)