Die DL21-Bayern lehnt CETA ab. Sie schließt sich der Stellungnahme von Dr. Hildegard Bedarff an, die folgende Stellungnahme zur vergleichenden Darstellung (Synopse) von Bernd Lange zu CETA vom 4. August 2016 im Auftrag des Umweltforums der SPD Schleswig-Holstein abgegeben hat.
Die SPD-Generalsekretärin Katarina Barley hat am 4. August diesen Jahres allen SPD-Mitgliedern, die sie per E-mail erreichen konnte, eine Synopse von Bernd Lange (MdEP, Berichterstatter im Handelsausschuss des EP) zu CETA zugeschickt. Sie wünscht sich eine offene und wenn nötig kontroverse Debatte, an der das umWeltforum Schleswig-Holstein mit dieser Stellungnahme teilnimmt. Dieser Stellungnahme schließt sich die DL21-Bayern an.
CETA und Fragen an die SPD
Was ist CETA? Vorrangiges Ziel des umfassenden Wirtschaftsabkommens zwischen der EU und Kanada (CETA) ist eine möglichst umfassende Öffnung des transatlantischen Marktes und eine weitere Verbesserung und Sicherung der Rechte internationaler Investoren. Die Unterzeichnerstaaten gehen völkerrechtlich verbindliche Marktzugangsverpflichtungen ein und gewähren internationalen Investoren Sonderrechte. Dazu zählt ein reformiertes System der Investor-Staatsschiedsgerichtsbarkeit. Der Geltungsbereich des Vertrags umfasst alle und auch zukünftige Wirtschaftsbereiche, wenn sie nicht ausdrücklich aus dem Vertrag herausgenommen worden sind (Negativlistenansatz). Der Schwerpunkt liegt auf dem Abbau von nicht-tarifären Handelshemmnissen. Dazu können alle Gesetze z.B. im Bereich des Natur-, Verbraucher- und Umweltschutzes sowie der Kultur, Bildung, Energie- und Verkehrspolitik gezählt werden, die den Handel und internationale Investitionen behindern könnten.
Matthias Miersch (MdB-SPD) stellt eindeutig fest: Wir dürfen CETA nicht danach beurteilen, „ob die neue kanadische Regierung „fortschrittlich“ ist oder nicht – oder die EU-Kommission wohlwollend. Letztlich werden durch die Formulierungen eines Vertrages Rechtsgrundlagen für juristische Auseinandersetzungen geschaffen, die sehr individuelle unternehmerische Interessen betreffen.“ Der 1600 Seiten lange Vertrag (einschließlich Anhängen) enthält unbestimmte Rechtsbegriffe, die die Grundlage für vielfältige Unternehmensklagen gegen die beteiligten Staaten und die EU bieten und Konfliktpotential zwischen den Vertragspartnern über die Auslegung bergen.
CETA-Vertrag auf deutsch und "den roten Linien der SPD auf der Spur"
Ob die roten Linien der SPD bei CETA eingehalten werden, lässt sich dementsprechend auch nicht an einzelnen Klarstellungen im Vertrag allein ablesen. Vielmehr muss der Vertrag als Ganzes interpretiert werden, wobei mögliche Unterschiede in der Auslegung des Vertrags und „Schlupflöcher“ berücksichtigt werden müssen. Wenn juristische Fachgutachter einen Inhalt unterschiedlich bewerten, wie das bei CETA derzeit häufig der Fall ist, ist das bereits ein Indiz dafür, dass es unterschiedliche Rechtsauffassungen gibt, die in Zukunft zu aufwändigen Rechtsstreitigkeiten zulasten der Allgemeinheit genutzt werden könnten.
Die Analyse von Matthias Miersch zeigt ebenso wie die juristische Kurzstudie des ASJ-NRW, dass die roten Linien, die die SPD auf ihrem Parteikonvent im September 2014 formuliert und auf dem Parteitag im Dezember 2016 bestätigt hat, bei weitem überschritten werden. Unsere innerparteiliche Debatte zu CETA konzentriert sich auf die roten Linien (so auch die Synopse von Bernd Lange). Es ist sinnvoll, dass wir diesen gemeinsamen Anhaltspunkt haben. Die Diskussion muss aber auch darüber hinausreichen und Antworten auf weitere grundlegende Fragen finden. Dazu zählen:
1. Dient CETA dem Allgemeinwohl?
2. Ist CETA vereinbar mit den Grundwerten und Zielen der SPD?
3. Ist es sinnvoll, dass Abgeordnete der SPD für CETA stimmen, obwohl sich in der Gesellschaft ein breiter Widerstand gegen den Vertrag gebildet hat, dem sich auch die Gewerkschaften und ein nennenswerter Teil der traditionellen SPD-WählerInnen und SPD-Mitglieder angeschlossen haben?
4. Sind weitere Nachbesserungen in einem derart komplexen Vertrag überhaupt sinnvoll, da die ganze Richtung des Vertrages problematisch ist und die verhandlungsführende Kommission und das Verhandlungsmandat keineswegs sozialdemokratische Ziele verfolgt?
5. Könnte in den sozialen Bewegungen gegen CETA & TTIP vielleicht gar eine Chance für die SPD liegen, da viele KritikerInnen sich eine sozial-ökologische Handels- und Wirtschaftspolitik wünschen, wie sie auch in unserem Grundsatzprogramm von 2007 verankert ist?
Hildegard Bedarff
Die Autorin dieses Beitrages, Hildegard Bedarff, ist Politikwissenschaftlerin und Dozentin an der Universität Hamburg. Sie arbeitet seit vielen Jahren zu Fragen der Europäischen Integration und der Internationalen Beziehungen und kennt durch längere Forschungsaufenthalte in den USA auch die handelspolitische Debatte in Nordamerika.
umWeltforum der SPD Schleswig-Holstein
Nun wird im Einzelnen zu der Synopse von Bernd Lange Stellung genommen, in der er CETA mit den roten Linien der SPD verglichen hat:
Anmerkungen zur Synopse von Bernd Lange
Im Folgenden werden zunächst Kernpunkte im Überblick von Bernd Langes Synopse im Wortlaut wiedergegeben (in Kursivschrift) und anschließend kommentiert.
Bernd Lange: „ Kernpunkte im Überblick
Die Synopse kommt bei den zentralen Punkten des CETA-Abkommens zu folgenden Einschätzungen: Gemischtes Abkommen: CETA wird absehbar als gemischtes Abkommen eingestuft werden. D.h. neben dem Europäischen Parlament beraten und ratifizieren auch die nationalen Parlamente, in Deutschland Bundestag und Bundesrat.“
Erstaunlicherweise erwähnt Bernd Lange den nächsten, voraussichtlich entscheidenden Schritt bei der Umsetzung von CETA im prominenten ersten Teil seiner Synopse nicht. Nach derzeitiger Planung soll der Handelsministerrat der EU im Oktober 2016 über die sogenannte vorläufige Anwendung von CETA entscheiden. Das Europäische Parlament soll Anfang 2017 diesen Beschluss bestätigen. Direkt danach sollen große Teile des völkerrechtlichen Vertrages in Kraft gesetzt werden.
Dieses Verfahren sorgt für großen Unmut in der Bevölkerung in Deutschland und im europäischen Ausland. Es stellen sich viele Fragen. Hier eine Auswahl:
Ist das vorläufige Inkraftsetzen von CETA überhaupt vereinbar mit dem Grundgesetz? Das Bundesverfassungsgesetz wird voraussichtlich Ende September 2016 über Bürgerklagen gegen CETA und die vorläufige Anwendung beraten. Dazu gehören die beiden größten Bürgerklagen der Bundesrepublik, eine mit 125.000 und eine mit 68.000 KlägerInnen.
Können die Regierungen sich im kurzen Zeitraum zwischen der Veröffentlichung des deutschsprachigen Textes in diesem Sommer und der geplanten Vorläufigen Inkraftsetzung im Oktober (abzüglich der Sommerpause) überhaupt in ausreichendem Maße sachkundig machen? Oder wird erwartet, dass sie im blinden Vertrauen auf die Vertragsunterhändler und die EU-Kommission CETA zustimmen?
Wird das europäische Parlament sich über den künstlich aufgebauten Zeitdruck hinwegsetzen und CETA in allen Einzelteilen kritisch prüfen und dabei auch die Argumente gegen CETA würdigen? Wird es sich grundlegenden Fragen nach dem Wert von CETA für das Gemeinwohl und den Zusammenhalt Europas stellen?
Werden die Rechte der nationalen Parlamente und des Bundesrates respektiert, wenn die Parlamente erst über die Teile des Abkommens abstimmen dürfen, die die nationalen Belange betreffen, wenn das Abkommen bereits in Kraft gesetzt ist?
Bernd Lange: „Ein Investitionsgerichtshof:
CETA sieht erstmals die Einrichtung eines rechtstaatlich und öffentlich-rechtlich organisierten Investitionsgerichtshofes vor. Damit wird das alte ISDS System mit privaten Schiedsgerichten überwunden. Gemeinsames Ziel ist die Einrichtung eines internationalen Investitionsgerichtshofs. Dies ist ein großer Fortschritt. Es werden transparentere Verfahren geschaffen und zugleich die Rechtsstandards des Investitionsschutzes sehr eng und deutlich präziser und klarer als bisher gefasst. Gleichwohl werden wir als Sozialdemokraten im weiteren parlamentarischen Prozess weiter intensiv prüfen, ob die erfolgten Präzisierungen bereits ausreichend sind.“
Die SPD hat Verbesserungen in den Verfahren von Investorenklagen durchgesetzt. Dennoch bleiben die grundlegenden Probleme bestehen. Das kritisieren sowohl der deutsche Richterbund als auch der DGB und KritikerInnen in der SPD. Das umstrittene System der Investoren-Staats-Schiedsgerichtsbarkeit bleibt weiter bestehen und wird sogar noch ausgebaut. Die in CETA vorgesehenen Schiedsstellen sollen ohne Bindung an Europäisches Recht, an das Grundgesetz und weitere deutsche Gesetze entscheiden können. Sie können sich bei ihren Entscheidungen also über europäisches und deutsches Recht hinwegsetzen. Die im Grundgesetz verankerten Grundprinzipien des Sozialstaates und des Umweltschutzes müssen bei Abwägungen nicht berücksichtigt werden. Viele Tausend Unternehmen können die Sonderklagerechte bei CETA nutzen, da es für alle Investoren mit einer Niederlassung in Kanada bzw. der EU, einschließlich der Finanzinvestoren wie den Hedgefonds, offen stehen soll. Staaten könnten mit CETA durch die Schiedsstellen bereits zu Schadensersatz verpflichtet werden, wenn Kommunen die Gewerbesteuern anheben oder eine Mietpreisbremse beschließen.
Der Deutsche Richterbund kritisiert, dass die Schaffung von Sondergerichten für einzelne Gruppen von Rechtsuchenden der falsche Weg sei. Ein Gerichtshof für Investoren würde die Rechtssetzungsbefugnis der Mitgliedstaaten und der Union zu stark beschränken. Gemeinwohlorientierte Politik kann nicht mehr gegen die Interessen globaler Wirtschaftsakteure durchgesetzt werden, wenn mit CETA und TTIP das Investoren-Staatsklagesystem weiter ausgebaut wird und Schiedsgerichte Milliardenstrafen verhängen können, für die die Steuerzahler aufkommen müssen. Die Schiedsgerichtsbarkeit würde die Politik in vergleichbarer Form mitprägen wie die Verfassung und das Verfassungsgericht. Mit CETA entstünde somit eine Nebenverfassung und ein Nebenverfassungsgericht.
Die roten Linien, die die SPD in Bezug auf die Schiedsgerichtsbarkeit und den Investitionsschutz formuliert hat, werden eindeutig überschritten. SPD-Mitglieder und WählerInnen haben sich lange darauf verlassen, dass die SPD die Schiedsgerichtsbarkeit den roten Linien zufolge ablehne. Wenn wir jetzt CETA zustimmen mit dem Verweis, es werde ein „öffentliches Schiedsgericht“ geschaffen, würde das mit Recht als Trickserei wahrgenommen, da die grundsätzlichen Probleme des Investor-Staatsklagesystems jenseits der ordentlichen Gerichtsbarkeit weiter bestehen.
Wie der ASJ.NRW zeigt, enthält CETA außerdem weiterhin unklare Rechtsbegriffe, die wie „gerechte und billige Behandlung“ und „indirekte Enteignung“, den Investoren eine Rechtsgrundlage für Klagen geben. Matthias Miersch fordert daher, dass das Investitionskapitel insgesamt gestrichen werden müsse.
Bernd Lange: „Parlamentarische Entscheidungshoheit:
Mit Blick auf die Zusammenarbeit zwischen der EU und Kanada in Fragen der Standardsetzung und Regulierung (sogenannte regulatorische Kooperation zur gegenseitigen Anerkennung von Normen und Standards) haben wir in unseren Beschlüssen festgelegt, dass hierdurch der politische Gestaltungs¬spielraum von Parlamenten und Regierungen nicht eingeschränkt werden darf. Der CETA-Vertrag sieht eine regulatorische Kooperation auf freiwilliger Basis und ohne bindende Wirkung auf parlamentarische Entscheidungen vor. Er betont zudem das „right to regulate“ der Vertragsparteien, also die klare Festlegung, dass die demokratische Entscheidungshoheit der Parlamente in vollem Umfang gesichert ist.“
CETA beschneidet die parlamentarische Entscheidungshoheit gleich in dreierlei Hinsicht: Durch die Schiedsgerichtsbarkeit (siehe oben), durch die sogenannte regulatorische Kooperation und durch die Liberalisierungsverpflichtungen des Vertrages.
Zur regulatorischen Kooperation ist anzumerken, dass die von Bernd Lange betonte grundsätzliche Freiwilligkeit uns nicht davor beschützt, dass einmal etablierte nicht-transparente Gremien des CETA-Vertrages ihre Arbeit aufnehmen und ein Eigenleben entwickeln.
Der Verfassungs- und Europarechtler Prof. Weiß befürchtet durch CETA eine „Parlamentsentmachtung durch Vertragsorgane“, die er auf der Grundlage des Vertragstextes begründet: „Die Freihandelsabkommen der neuen Generation setzen vertragliche Gremien wie Haupt- oder Fachausschüsse ein, die eigenständige Zuständigkeiten ausüben und in bestimmten Fällen verbindliche Entscheidungen treffen dürfen, ohne dass es dafür stets einer parlamentarischen Zustimmung bedarf.
Im CETA Abkommen betrifft das die Änderung des Abkommens und seiner Anhänge, verbindliche Auslegungen, die Anwendung mancher Ausnahmen, oder das vereinfachte Aushandeln von gegenseitigen Anerkennungsabkommen. Wieweit diese Befugnisse reichen, ist nicht immer vorhersehbar… Das führt die Gefahr herauf, dass die Parlamente sich ihrer eigenen Zuständigkeiten in der Gesetzgebung und der Eingehung völkerrechtlicher Pflichten begeben. Zwar soll durch die Vertragsorgane die Fortentwicklung des Abkommens erleichtert werden. Doch kann das keine Selbstentmachtung der Parlamente bei grundlegenden Aufgaben rechtfertigen, die im Interesse demokratischer Rückbindung weiterhin den Parlamenten zukommen. (…) Das Europäische Parlament würde sein gerade errungenes Zustimmungsrecht zu Freihandelsabkommen aus der Hand geben, wenn wichtige Änderungen und Festlegungen an ihm vorbei erfolgen könnten. Das gilt auch für den Deutschen Bundestag, weil die Vertragsorgane sich nicht auf Materien beschränken, die unter die alleinige Zuständigkeit der EU fallen.“
Auf Drängen von Sozialdemokraten ist in CETA ein Regulierungsvorbehalt, das „right to regulate“, aufgenommen worden, das jedoch die parlamentarische Entscheidungshoheit nicht ausreichend schützt wie der ASJ-NRW zeigt: „Es ist eine völkerrechtliche Selbstverständlichkeit, dass Parlamente Gesetze verabschieden dürfen. Mit CETA werden Regulierungen jedoch auf "legitime Ziele" (…) eingeschränkt und einer Verhältnismäßigkeitsprüfung unterzogen. Was ein legitimes Ziel ist, entscheidet freilich nicht mehr das Parlament, sondern das Sondergericht.“
Dr. Nina Scheer (MdB-SPD) zeigt, dass die umfangreichen Marktöffnungsverpflichtungen und das übergeordnete Ziel, den Abbau von Handelshemmnissen weiterzuentwickeln, die demokratische Entscheidungshoheit ebenfalls beschneiden. Mit CETA würden immer mehr demokratische Entscheidungsprozesse unter den Vorbehalt der Liberalisierungsverpflichtung gestellt. Das widerspricht unseren rechtsstaatlichen Grundsätzen der Demokratie. Gesellschaft und Politik müssen auch in Zukunft selbst entscheiden können, wie sie z.B. die Daseinsvorsorge, den öffentlichen Nahverkehr, die Kultur und die Bildung organisieren. Warum sollten Parlamentarier und BürgerInnen einem Vertrag zustimmen, bei dem die parlamentarische Entscheidungshoheit eingeschränkt wird?
Mit den Einschränkungen der parlamentarischen Entscheidungshoheit wird erneut eine rote Linie der SPD überschritten, da die SPD in ihren Beschlüssen auf dem Konvent im September 2014 und dem Parteitag 2015 fordert, dass der Primat der Politik uneingeschränkt gelten muss und rechtsstaatliche Grundsätze und demokratische Beschlüsse nicht umgangen oder ausgehebelt werden dürfen.
Bernd Lange: „Zollabbau und Marktzugang:
CETA sieht vor, dass Zölle und technische Handelshemmnisse weitreichend abgebaut werden. Europäische Unternehmen erhalten zudem Zugang zu den kanadischen Märkten, insbesondere erstmals auch den Beschaffungsmärkten auf den unterschiedlichen staatlichen Ebenen Kanadas. Beides ist grundsätzlich positiv zu bewerten.“
Die Handelsbeziehungen zwischen Kanada und Europa sind eng, die Zölle sind bereits heute in den meisten Bereichen sehr niedrig, und die Investitionsbedingungen sind günstig. Bei handelsrechtlichen Veränderungen gibt es immer Gewinner und Verlierer. Daher sollte genau abgewogen werden können, inwiefern die Marktöffnung von bisher geschützten Bereichen den Menschen und der Wirtschaft dient.
Ist es wirklich im öffentlichen Interesse, wenn die öffentlichen Beschaffungsmärkte in Kanada für europäische Unternehmen geöffnet werden, auch wenn dadurch die lokale Wirtschaft in ohnehin strukturschwachen Regionen in Kanada enorm belastet würde? Genau das befürchten kanadische Kommunen, die gegen CETA demonstrieren. Sollte nicht die Solidarität von SozialdemokratInnen eher bei diesen Kommunen liegen, als bei europäischen Konzernen? Die Berliner Wasserbetriebe ihrerseits befürchten z.B., dass sie in Zukunft durch Klagen eines kanadischen Investors gezwungen werden könnten, kostengünstigere kanadische Rohre zu kaufen, obwohl diese nicht den gewünschten Qualitätsstandards entsprechen. Die Berliner Wasserbetriebe könnten im Sinne des wissenschaftsbasierten Zulassungssystems, das sich mit CETA durchsetzen wird (s. unten), beweisen müssen, dass Materialien der kanadischen Rohre tatsächlich langfristig das Wasser verunreinigen könnten. Ärztevertreter befürchten, dass CETA die Souveränität der einzelnen EU-Staaten in Bezug auf ihre Gesundheitspolitik und die Ausgestaltung ihrer Gesundheitssysteme gefährden wird, da der europäische Markt attraktiv für große nordamerikanische Gesundheitskonzerne ist.
Die bäuerliche Landwirtschaft gehört ebenfalls zu den Verlierern des Vertrages, da sie dem Verdrängungswettbewerb in Folge der Marktöffnungspolitik nicht standhalten wird. Die Quote für den Import von Rindfleisch aus Kanada in die EU soll z.B. vervielfacht werden, um Kanada für das weiter geltende EU-Importverbot von hormonbehandeltem Rindfleisch zu kompensieren. Kleine und mittelständige Unternehmen befürchten, dem zunehmenden Wettbewerbsdruck durch die nordamerikanische Konkurrenz nicht standhalten zu können und haben die Initiative kleine und mittelständische Unternehmen gegen TTIP gegründet. Alle großen US-amerikanischen Unternehmen sind mit Niederlassungen auch auf dem kanadischen Markt präsent. Das Versprechen, durch CETA würden in großem Maße Arbeitsplätze geschaffen, ist nicht glaubhaft, da Unternehmen auf verschärften Wettbewerbsdruck mit einem Abbau von Arbeitskräften bzw. einer Verlagerung der Produktionsstandorte in Niedriglohnländer reagieren.
Ohne CETA können sich die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und Kanada weiter entwickeln. Handelshemmnisse, wie z.B. unterschiedliche Produktzertifizierungen, können durch einfachere Abkommen beseitigt werden, wie z.B. in dem Bio-Äquivalenzabkommen, in dem sich die EU mit interessierten Staaten einschließlich den Vereinigten Staaten auf Zertifizierungsvorschriften für Bio-Lebensmittel geeinigt haben.
Bernd Lange: „Kein Dumping-Wettbewerb:
In CETA wird ausdrücklich klargestellt, dass ein Dumping-Wettbewerb abgelehnt wird und Handelsziele nicht dazu dienen dürfen, Schutzstandards für Arbeit oder Umwelt auszuhebeln. Das Vorsorgeprinzip im Verbraucherschutz, das sich in Europa bewährt hat, bleibt zudem unangetastet.“
Ein gemeinsames Rechtsgutachten von Juristen aus Deutschland, den Niederlanden und Belgien kommt zu einem grundlegend anderen Ergebnis als Bernd Lange. Es zeigt, dass das Vorsorgeprinzip in CETA keinesfalls verankert ist. Das Vorsorgeprinzip sorgt in Europa dafür, dass Produkte erst dann auf den Markt gelangen dürfen, wenn sie keine Risiken für die VerbraucherInnen darstellen. In Kanada und der Welthandelsorganisation (WTO), auf die sich CETA ausdrücklich bezieht, gilt nicht das Vorsorgeprinzip, sondern das sogenannte wissenschaftsbasierte Prinzip. Danach dürfen Produkte erst vom Markt genommen werden, wenn wissenschaftlich nachgewiesen wird, dass sie für Menschen, Tiere oder die Umwelt schädlich sind. Bis zu diesem Nachweis tragen die VerbraucherInnen und die Umwelt das Risiko. Mit CETA könnten Unternehmen durchsetzen, dass Produkte auf den europäischen Markt gelangen, die bisher in der EU nach dem Vorsorgeprinzip nicht zugelassen würden. Eine weitere Verbesserung von Umwelt- und Verbraucherstandards wäre in Europa zudem kaum mehr möglich, da sich nordamerikanische Unternehmen in ihren Gewinnerwartungen verletzt sehen könnten. Politik wäre demnach nur noch in eine Richtung möglich, aber nicht mehr grundsätzlich in beide Richtungen.
Bernd Lange: „Nachhaltigkeit und Schutz von Arbeitnehmerrechten:
In CETA sind erstmals in vielen Bereichen fortschrittliche Regeln und Standards für den Schutz von Arbeitnehmerrechten, Umwelt, Gesundheit und für nachhaltiges Wirtschaften insgesamt vereinbart worden. Die neue kanadische Regierung von Premierminister Trudeau hat außerdem erklärt, die beiden bisher von Kanada noch nicht ratifizierten ILO-Kernarbeitsnormen zügig zu ratifizieren. In einem Fall ist dies bereits erfolgt. Eine weitere Verbesserung der Implementierung der Arbeitnehmerrechte werden wir weiter verfolgen. Zudem verpflichten sich die Vertragspartner, die OECD-Leitsätze für die soziale Verantwortung multinationaler Unternehmen zu fördern.“
In Bezug auf Nachhaltigkeit und dem Schutz von Arbeitnehmerrechten werden durch CETA keine guten Standards gesetzt. „CETA erhält zwar ein eigenes Nachhaltigkeitskapitel mit Vereinbarungen zu Arbeits- und Umweltfragen, worin Nachhaltige Entwicklung als übergeordnetes bzw. vorrangiges Ziel anerkannt wird. Ferner erklären die Vertragspartner, keine Niveauabsenkung bei internen Rechtsvorschriften und Normen vorzunehmen. Offen bleibt, wer darüber wie befindet, was eine Niveauabsenkung wäre.“ Die vertraglichen Verpflichtungen reichen nicht über ein „Bemühen“ oder „Anerkennen“ hinaus.
Die unverbindlichen Bekenntnisse zur Nachhaltigkeit in CETA täuschen nicht darüber hinweg, dass CETA insgesamt in die falsche Richtung weist. Die Marktöffnungsverpflichtungen und die zusätzlichen Investorenrechte in CETA können eine Wende in der Handels- und Wirtschaftspolitik zu mehr Nachhaltigkeit sogar verhindern:
Wie soll der Ausstieg aus fossilen Energieträgern gelingen, wenn den Staaten, die das versuchen, eine ganze Welle an Unternehmensklagen droht? Denn ohne Zweifel sind die Gewinninteressen und das in CETA besonders umfassend geschützte Eigentum globaler Unternehmen betroffen, wenn auf Kohle, Gas und Öl verzichtet werden soll, um das Klima zu retten.
Die Freihandelsdoktrin von CETA ist außerdem nicht vereinbar mit einer nachhaltigen Wirtschaft, die vermehrt auf regionalen Wirtschaftskreisläufen, bäuerlicher Landwirtschaft und einem Rückgang des globalen Transportaufkommens beruhen würde.
Bernd Lange: „Durchsetzung von Sozial- und Umweltstandards:
In unserem Konventsbeschluss haben wir die Erwartung formuliert, dass die Einhaltung von Arbeits- und Sozialstandards in Konfliktfällen genauso wirkungsvoll sichergestellt sein muss, wie die Einhaltung anderer Regeln des Abkommens. Zur wirkungsvollen Durchsetzung der im Nachhaltigkeitskapitel verankerten Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards verpflichten sich die Vertragsparteien auf ein dialogorientiertes Verfahren unter Einbindung der Zivilgesellschaft einschließlich der Gewerkschaften und der ILO. Anders als in anderen Teilen des Abkommens sieht dieses Verfahren bislang keine Sanktionsmöglichkeiten vor. Allerdings enthält CETA an dieser Stelle bereits eine Revisionsklausel, die dazu genutzt werden kann und sollte, Perspektiven für einen ergänzenden verbindlichen Sanktions - mechanismus zu entwickeln. Auch dieser Punkt muss im weiteren parlamentarischen Beratungsprozess behandelt werden.“
Bernd Lange hofft, dass es zu Nachbesserungen kommen wird. Es bleibt jedoch zu befürchten, dass die verbindlichen Investorenrechte in CETA die Weiterentwicklung von Arbeitnehmerrechten erschweren oder gar ganz verhindern könnten. Zu erwarten sind Konflikte zwischen den in CETA ausgeweiteten Investorenrechten und den Schutz- und Mitbestimmungsrechten für ArbeitnehmerInnen. Abwägungen werden nach CETA durch ein transatlantisches Regulierungsgremium und die Schiedsgerichtsgerichtsbarkeit getroffen.
Bernd Lange: „Schutz der Daseinsvorsorge:
Der umfassende Schutz der Daseinsvorsorge ist eine unserer zentralen Anforderungen. Für viele Dienstleistungsbereiche und insbesondere die Daseinsvorsorge werden in CETA vielfältige Schutzregeln formuliert: So gelten für die Daseinsvorsorge eine allgemeine Schutzregel („public utilities“-Vorbehalt) sowie weitere weitreichende spezielle Schutzregeln etwa für Bereiche wie Wasserversorgung, Bildung, Gesundheit oder soziale Dienstleistungen. Diese Schutzvorbehalte sind im Wesentlichen im sogenannten Annex II des CETA-Vertrages aufgeführt. Sie sind so formuliert, dass die jeweilige Vertragspartei die volle politische Gestaltungsfreiheit hat, auch in der Zukunft den Grad der Marktöffnung festzulegen, hinter das aktuelle Öffnungsniveau zurückzugehen, also höhere Standards zu setzen, oder beispielsweise erfolgte Liberalisierungen wieder zurückzunehmen. Rekommunalisierungen sind in diesen Bereichen demnach weiter möglich. Allerdings findet in CETA der Ansatz einer so genannten Negativliste Anwendung, was grundsätzlich bedeutet, dass Verpflichtungen zur Marktöffnung für Dienstleistungen mit Ausnahme der ausdrücklich auf der Liste aufgeführten Dienstleistungen eingegangen werden. In unserem Konventsbeschluss haben wir die Auffassung formuliert, dass ein Positivkatalog besser ist und mehr Vertrauen schafft als der Ansatz der Negativlisten. Deshalb werden wir im weiteren parlamentarischen Beratungs- und Ratifizierungsprozess genau prüfen, wie die Negativliste und die Schutzregeln in CETA im Detail ausgestaltet sind. Nötigenfalls sind Klarstellungen erforderlich. Der Schutz der Daseinsvorsorge muss in jedem Fall lückenlos gesichert sein.“
Die bei Bernd Lange nur sehr vorsichtig anklingende Kritik wird in Rechtsgutachten sehr viel klarer. Ein Rechtsgutachten von Prof. Nettesheim kommt zu dem Ergebnis, dass CETA keine umfassende Freistellung von Dienstleistungen des Allgemeininteresses enthält, obwohl das zur Abwehr der Kritik in der Öffentlichkeit häufig behauptet wird. CETA nimmt nur Teilbereiche heraus und bleibt unter anderem auch im Hinblick auf die sozialen Dienstleistungen unzulässig mehrdeutig. Zu diesem Ergebnis kommen auch der ASJ-NRW und das Kölner Netzwerk der Daseinsvorsorge: „Durch die verpflichtende Marktöffnung in CETA müssen öffentliche Dienstleistungen ausgeschrieben werden. Es gibt also eine allgemeine Liberalisierungspflicht (…) Verboten werden alle Formen von Privilegien oder Monopolstellungen für Dienstleistungserbringer. Diese Regelungstechnik folgt dem Negativlistenansatz. Von der grundsätzlich normierten Pflicht zur Marktöffnung werden in den Anhängen Ausnahmen gemacht. Diese Regelungstechnik ist ausgesprochen unübersichtlich und es gelten für unterschiedliche Dienstleistungen unterschiedliche Anforderungen. Nicht aufgelistete oder schlicht vergessene Dienstleistungen unterliegen automatisch der Marktöffnungsverpflichtung.“ Für einen Teil der Dienstleistungen (Annex I) gilt die Ratchet-Klausel. Demnach dürfen bestehende Regulierungen zwar beibehalten werden. Bei Veränderungen dürfen sie sich aber nur einseitig in Richtung Marktöffnung bewegen. Das heißt eine Rekommunalisierung privatisierter Dienstleistungsunternehmen ist verboten.
Nur für eine Gruppe von Dienstleistungen, nämlich die, die in Annex II aufgeführt sind, gilt die Ratchet-Klausel nicht, sondern der Schutz durch die Public-utilities-Klausel. Das gilt aber nur, solange diese Dienstleistung vollständig von der öffentlichen Hand erbracht wird. Die EU-Kommission strebt danach, öffentliche Dienstleistungen zu kommerzialisieren. CETA bietet neben EU-Regelungen eine weitere Absicherung dieser neoliberalen Politik.
Im Gegensatz dazu sollte es unbedingt im Interesse von BürgerInnen, Bund, Ländern und Kommunen sein, dass Politik und Gesellschaft auch in Zukunft uneingeschränkt selbst über die Organisation der Daseinsvorsorge entscheiden können.
Bernd Lange: „Gestaltung der Globalisierung:
CETA passt sich insgesamt ein in den WTO-Rahmen und basiert auf eingegangenen WTO-Verpflichtungen. Dies gilt auch für die WTO-Begrifflichkeiten. Aber das Abkommen geht zugleich darüber hinaus und hat den Anspruch, faire Handelsbedingungen in der globalisierten Welt zu setzen. Als größter integrierter Wirtschaftsraum der Welt, der auf das Engste in die globalen Handelsbeziehungen eingebunden ist, hat die EU ein elementares Interesse daran, mit wichtigen Partnern Handelsabkommen mit möglichst fortschrittlichen Regeln und Standards zu vereinbaren.“
Bernd Lange entscheidet nicht, ob die Regeln, die die EU-Kommission für fortschrittlich hält, auch den Vorstellungen der Zivilgesellschaft und der SPD von einer zukunftsfähigen Handels- und Wirtschaftspolitik entsprechen. Für die ehemalige SPD-Justizministerin Herta Däubler-Gmelin und den Vorsitzenden der Naturfreunde Michael Müller geht CETA in die falsche Richtung: „Die Gestaltung der Globalisierung kann nicht so aussehen, dass man alle Märkte so weit wie möglich öffnet, alle Regulierungsmöglichkeiten im öffentlichen Interesse unter den Vorbehalt stellt, dass dadurch keine „Handelshemmnisse“ entstehen, und eine Paralleljustiz und damit verbundene Klagerechte exklusiv für ausländische Investoren einführt.“ Andere Ziele wie soziale Gerechtigkeit, Fairness, Respekt von regionalen und kulturellen Besonderheiten und Nachhaltigkeit werden dem Freihandelspostulat unter- bzw. nachgeordnet. CETA trägt somit keinesfalls zur Gestaltung der Globalisierung im Sinne von Willy Brandt bei, zumal es eher einer bedenklichen kolonialen Attitüde entspricht, in Abwesenheit anderer Standards für alle festlegen zu wollen.
Bernd Lange: „Kündigungsrecht:
Eine Vertragspartei kann dieses Abkommen jederzeit kündigen durch schriftliche Kündigung gegenüber der anderen Vertragspartei. Dann läuft eine Frist von 6 Monaten (Artikel 30.9). Bei Kündigung gelten aus Gründen des Rechtsschutzes die Bestimmungen von Kapitel 8 (Investitionsschutz) weiterhin für einen Zeitraum von 20 Jahren. Allerdings nur für Investitionen, die vor der Kündigung des Abkommen vorgenommen wurden. Diese Ausnahme für den Bereich des Investitionsschutzes würde allerdings nicht bereits im Fall einer vorläufigen Anwendung des Abkommens gelten.“
Bernd Lange weist darauf hin, dass die Schadensersatzansprüche aufgrund des Investitionsschutzkapitels noch zwanzig Jahre nach einer Kündigung weiter gelten. Das bedeutet mit den Worten des ASJ-NRW, dass ein sozial-ökologischer Umbau der Gesellschaft, der Regulierungen verlangt und das Eigentumsrecht von Investoren tangiert, noch zwanzig Jahre nach einer Kündigung des Vertrages ausgeschlossen wird. Somit wird die neoliberale Politik durch CETA mindestens für weitere zwei Jahrzehnte festgeschrieben und gegen sich verändernde Mehrheiten in den Parlamenten abgesichert.
F a z i t:
Bernd Langes Synopse zeigt, dass führende SPD-Politiker versucht haben, Verbesserungen bei CETA durchzusetzen, indem sie auf Ausnahmen und Klarstellungen im Vertrag gedrängt haben. Dennoch zeigt sich schnell, dass die roten Linien der SPD für CETA überschritten werden, die Ausnahmen und Klarstellungen in dem komplexen Vertrag nicht ausreichend sind und durch Klagen bzw. eine Weiterentwicklung des Vertrages schnell in Frage gestellt werden können. Weitere Analysen auch zu Fragen der Arbeitnehmerrechte und dem Schutz der Kultur weisen in die gleiche Richtung. Diese ernüchternde Bilanz ist sicherlich nicht auf fehlendes Verhandlungsgeschick der Sozialdemokraten zurückzuführen, sondern vielmehr auf die grundsätzlich unterschiedlichen Politikkonzepte von Sozialdemokraten und der neoliberal orientierten EU-Kommission und dem entsprechend ausgerichteten Verhandlungsmandat für CETA. Hinzu kommt, dass die EU-Kommission die Verhandlungen geführt und die Federführung für den genauen Vertragstext wahrgenommen hat, wohingegen die EU-Parlamentarier und die Bundesregierung bzw. der Koalitionspartner SPD nur indirekt auf den Vertrag einwirken konnten.
Die Synopse gibt keinen Anhaltspunkt dafür, warum der Vertrag im Interesse der Allgemeinheit sein sollte, während vielfältige Risiken offenkundig werden. Das liegt nicht an der Synopse, sondern vielmehr am Vertrag selbst, der von immer mehr Bürgerinnen und Bürgern aus guten Gründen abgelehnt wird. Der große Widerstand innerhalb der SPD und befreundeter Organisationen ist kein Zufall.
Das Grundsatzprogramm der SPD zeigt, dass CETA sozialdemokratischen Zielen zuwider läuft. Während CETA dem Freihandelspostulat und der Sicherung und Ausweitung von internationalen Investorenrechten Priorität einräumt, bestehen wir SPD-Mitglieder in unserem Hamburger Grundsatzprogramm von 2007 „auf dem Primat demokratischer Politik und widersprechen der Unterwerfung des Politischen unter das Ökonomische.
Dabei haben wir einen weiten Begriff des Politischen, der nicht auf den Staat reduziert werden darf, sondern zivilgesellschaftliche Allianzen und Netzwerke wie auch das freie, selbstbestimmte Handeln der Menschen einschließt. Politik muss dafür sorgen, dass nicht zur bloßen Ware wird, was nicht zur Ware werden darf: Recht, Sicherheit, Bildung, Gesundheit, Kultur, natürliche Umwelt (…)
Angesichts der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, angesichts von Globalisierung und ökologischer Krise betrachten wir Nachhaltigkeit als das einzig verantwortbare Grundprinzip politischen und wirtschaftlichen Handelns. Das Prinzip Nachhaltigkeit bedeutet: von der Zukunft her denken; dem Primat der Kurzfristigkeit widerstehen und ebenso der Dominanz des Ökonomischen, der rein betriebswirtschaftlichen Logik.“
Wie soll sich die SPD nun weiterhin zu CETA verhalten?
Zunächst müssen wir uns klarmachen, dass die positiven Erwartungen, die teilweise noch immer in der SPD mit CETA verbunden werden, nicht erfüllt werden. CETA setzt keine „guten Standards“. CETA wird nicht verhindern, dass der Anteil Europas am Welthandel abnehmen wird. Auch wenn Chinas Anteil am Welthandel weiter wächst, wird Europa weiterhin seine Sozial- und Umweltstandards selbst bestimmen. Der wirtschaftliche und politische Erfolg Europas hängt nicht von CETA ab, sondern davon, inwieweit Europa selbst politische, soziale, wirtschaftliche und technologische Lösungen für die Herausforderungen des 21 Jahrhunderts findet.
Wir müssen uns auch bewusst machen, dass die EU über umfangreiche Kompetenzen in den Bereichen Handel und Investitionen verfügt und der Einfluss der EU-ParlamentarierInnen und der Bundesregierung auf den genauen Vertragstext sehr gering ist. Es ist illusorisch zu erwarten, dass wir SozialdemokratInnen den vorliegenden Vertragstext von CETA so umschreiben könnten, dass er unseren Anforderungen genügt und den Menschen dient. Die SPD hat nicht die Macht, CETA inhaltlich grundlegend zu verändern.
Eher noch hat die SPD die Macht - gemeinsam mit gleichgesinnten Parteien und Abgeordneten in Deutschland und anderen europäischen Staaten und mit der Zivilgesellschaft - CETA zu stoppen und ggf. für Neuverhandlungen unter einem anderen Verhandlungsmandat zu werben.
Zunächst und vordringlich müsste das vorläufige Inkraftsetzen von CETA durch den Ministerrat und das Europaparlament verhindert werden. Anschließend müsste der Vertragstext insgesamt vom Ministerrat und dem EU-Parlament abgelehnt werden.
Den engen wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zwischen Kanada und der EU würde damit kein Schaden zugefügt, zumal es auch in Kanada deutlichen Widerstand gegen CETA gibt. Die Regierungen wären frei, neu zu entscheiden, ob sie ein neues (wünschenswerterweise) deutlich engeres Verhandlungsmandat für ein neues Handelsabkommen mit Kanada beschließen wollen.
Es wäre zu wünschen, dass vorher in einem tatsächlich offenen Dialog mit der Zivilgesellschaft über eine zukunftsfähige Handels- und Wirtschaftspolitik beraten würde. Zu hoffen ist besonders, dass die Parlamente energisch die Regulierungskompetenz und auch die regulatorische Zusammenarbeit für sich beanspruchen würden. In der interparlamentarischen Zusammenarbeit könnte im Sinne des „best practice“ über eine gemeinsame Anhebung von Standards beraten werden. Die Parlamente in Europa und Nordamerika müssen die Freiheit behalten, höhere Standards zu übernehmen oder im Einklang mit der heimischen Rechtstradition und den gesellschaftlichen Prioritäten abzuwandeln.
Solange CETA das verhindert, ist es von SozialdemokratInnen kategorisch abzulehnen.
H. Bedarff, CETA-Stellungnahme zur Synopse von Bernd Lange (PDF, 171 kB)